Einrichtung einer Schutzzone von 150 m vor der Beratungsstelle Pro Familia am Palmengarten während der Beratungszeiten

Die Stadtverordnetenversammlung möge beschließen:

Die Stadtverordnetenversammlung weist den Oberbürgermeister an, den Stadtverordnetenbeschluss vom 27.09.2018 (§ 3152 zur NR 612/18) mit der Maßgabe, dass eine Schutzzone von 150 m während der Beratungszeiten eingerichtet wird, umzusetzen. Zu diesem Zweck wird der Oberbürgermeister angewiesen, dem Ordnungsdezernenten die Zuständigkeit für das Versammlungsrecht zu entziehen und seine originäre Zuständigkeit wieder zu begründen.

Begründung:

Mit der Beschlussausfertigung § 3152 zur Vorlage NR 612/18 hat die Stadtverordnetenversammlung auf Antrag der FDP-Fraktion den Magistrat aufgefordert, den Initiatoren der vor der Beratungsstelle Pro Familia durchgeführten Mahnwachen gem. § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz die Auflage zu erteilen, bei der Durchführung der Mahnwachen einen Abstand von 150 m zur Beratungsstelle einzuhalten. Die Mahnwachen, bei denen christliche Gebete gesprochen und Transparente hochgehalten werden, die u.a. abgetriebene Föten zeigen, führen zu einer nicht mehr hinnehmbaren psychischen  Beeinträchtigung von Frauen, die die Beratungsstelle Pro Familia zur Durchführung einer Schwangerschafts-Konfliktberatung aufsuchen. Des Weiteren wird das Recht auf anonyme Beratung und damit das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Frauen verletzt. Die vergleichsweise geringfügige Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit durch die Auflage, einen Abstand von 150 m einzuhalten, ist im Hinblick auf das äußerst sensible Thema den Demonstranten zuzumuten. Der Ordnungsdezernent der Stadt Frankfurt ignoriert den Mehrheitsbeschluss der Stadtverordnetenversammlung und weigert sich beharrlich, im Hinblick auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, eine solche Auflage zu erteilen.

Der Ordnungsdezernent ist natürlich an die Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung rechtlich nicht gebunden. Es entspricht aber einem politischen Demokratieverständnis, die Beschlüsse eines frei gewählten Parlaments zur Kenntnis zu nehmen und in die Betrachtungen einzubeziehen. Dem Ordnungsdezernenten ist auch zuzugeben, dass es sich vorliegend um eine äußerst schwierige und kontrovers diskutierte verfassungsrechtliche Frage handelt, bei der das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Versammlungsfreiheit gegeneinander abzuwägen sind. Über die Rechtmäßigkeit einer solchen Auflage wird somit letztlich gerichtlich entschieden.

In diesem Zusammenhang ist aber darauf hinzuweisen, dass in einem ähnlich gelagerten Fall bei Mahnwachen vor der Beratungsstelle Pro Familia in Pforzheim das Verwaltungsgericht Karlsruhe im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens die Rechtmäßigkeit der von der Stadt Pforzheim verhängten Frauenschutzzone bestätigt hat. Der Tenor des Beschlusses des VG Karlsruhe vom 27.03.2019 (Az.: 2 K 1979/19) lautet wie folgt:

„Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht von schwangeren Frauen kann nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz wegen des geplanten konkreten Versammlungsortes vor einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle und der Dauer der Versammlung über mehrere Wochen – auch mit Blick auf die Religions- und Meinungsfreiheit der Versammlungsteilnehmer – eine zeitliche und örtliche Versammlungsbeschränkung rechtfertigen.“

Das Verwaltungsgericht nimmt in diesem Beschluss eine eingehende Abwägung zwischen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit auf Seiten der Versammlungsteilnehmer und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht der betroffenen Frauen vor. Hierbei kommt das Gericht zu der Auffassung, dass die Auflage der Stadt Pforzheim, wonach die Versammlung während der Beratungszeiten von Pro Familia an den Werktagen nur außerhalb direkter Sichtbeziehung vom Gebäudeeingang von Pro Familia durchgeführt werden darf, rechtlich nicht zu beanstanden ist, da mit zutreffenden Erwägungen eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bejaht wurde. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe weist zunächst im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darauf hin, dass die Schwangerschaft der durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Privatsphäre der schwangeren Frau zuzuordnen ist. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Erwägungen, die das Verwaltungsgericht im Rahmen der Abwägung der kollidierenden Grundrechte vornimmt:

„Insbesondere in der Frühphase der Schwangerschaft, in der diese noch nicht äußerlich erkennbar ist, entscheidet die Frau darüber, die Schwangerschaft publik zu machen oder geheim zu halten. Der Schutz der Privatsphäre ist um so intensiver, je näher der Sachbereich der Intimsphäre steht. Gerade das erste Drittel der Schwangerschaft, in dem sich die überwiegenden Mehrheit der Frauen befinden dürfte, die eine Schwangerschaftsberatungsstelle aufsuchen, weist eine große Nähe zur Intimsphäre auf, so dass für die Prognose der Gefährdungslage i.S.d. § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz auch dann ein sehr hohes Schutzniveau für das Allgemeine Persönlichkeitsrecht zugrunde zu legen ist, wenn man die Schwangerschaft nicht sogar pauschal der Intimsphäre der Frau zuordnet. In der Frühphase der Schwangerschaft befinden sich die meisten Frauen in einer besonderen seelischen Lage, in der es in Einzelfällen zu schweren Konfliktsituationen kommt. Diesen Schwangerschaftskonflikt erlebt die Frau als höchstpersönlichen Konflikt. Die Umstände erheblichen Gewichtes, die einer Frau das Austragen eines Kindes bis zur Unzumutbarkeit erschweren können, bestimmen sich nicht nur nach objektiven Komponenten, sondern auch nach ihrem physischen und psychischen Befindlichkeiten und Eigenschaften. Die emotionalen Konflikte und persönlichen Lebensumstände, die Frauen in dieser Phase über einen Schwangerschaftsabbruch nachdenken lassen, berühren regelmäßig ebenfalls die Privatsphäre der Frau, die u.a. ihre Beziehung zum Vater des Kindes, ihre weitere Lebensplanung und die Beziehung zu dem in ihr wachsenden Kind.“

In der weiteren Abwägung führt das Verwaltungsgericht aus:

„Aufgrund der vorgehend beschriebenen Konfliktsituation hat die schwangere Frau, die eine anerkannte Schwangerschaftsberatungsstelle aufsucht, ein aus ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht fließendes Recht darauf, diese ohne Spießrutenlauf durch eine über mehrere Wochen dauernde, blockadeartige Versammlung von Abtreibungsgegnern, die in unmittelbarer Nähe zum Eingang der Beratungsstelle stattfinden soll, zu erreichen.“

Das Verwaltungsgericht kommt zu einem Überwiegen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der schwangeren Frau, da diese in ihrer Konfliktsituation und im Zustand hoher Verletzlichkeit eine Anprangerung und Stigmatisierung über mehrere Wochen hinweg ausgesetzt wird. Das Verwaltungsgericht kommt zum Ergebnis:

„Vor diesem Hintergrund hat das Versammlungsrecht im hier vorliegenden konkreten Fall gegenüber dem Persönlichkeitsrecht der schwangeren Frau als Schutzgut des Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG zurückzutreten und ist deshalb die zeitliche und örtliche Beschränkung der Versammlung mit Art. 8 Abs. 1 GG vereinbar.“

Diese Erwägungen treffen auch im Rahmen der Abwägung mit Art. 5 GG zu.

Die Verhängung einer entsprechenden Auflage kann im Lichte der Argumentation des Verwaltungsgerichts Karlsruhe nicht von vornerein als verfassungsrechtlich unvertretbar angesehen werden.

Da sowohl der jetzt zuständige Ordnungsdezernent, als auch der Oberbürgermeister, offensichtlich nicht in der Lage, oder nicht willens sind, sich mit dieser Argumentation auseinanderzusetzen, ist eine erneute Beschlussfassung des Stadtparlaments notwendig.