Passivhäuser

Stadtv. Elke Tafel-Stein  – FDP –

Presseberichten, FAZ, 01.07.2016, zufolge hat ein vergleichender Modellversuch der Wiesbadener Wohnbaugesellschaft, GWW, ergeben, dass Passivhäuser insgesamt nicht weniger Energie benötigten als Gebäude, die der geltenden Energieeinsparverordnung genügten. So sei im Passivhaus zwar weniger Heizenergie verbraucht worden, dagegen liege aber der Stromverbrauch ganz erheblich höher. Dadurch werde der Vorteil der Passivhäuser beim Heizenergieverbrauch nahezu nivelliert, wird der Geschäftsführer der GWW zitiert.

Ich frage den Magistrat:

Wie beurteilt der Magistrat die bisherigen Vergleichsergebnisse der Wiesbadener Wohnbaugesellschaft?

 

Antwort des Magistrats:

Die Vergleichsergebnisse des Modellversuchs Weidenborn, Quartier F, der Wiesbadener Wohnbaugesellschaft GWW sind dem Magistrat schon seit Längerem bekannt. Im Kern wird dort die Behauptung aufgestellt, dass Passivhäuser insgesamt nicht weniger Energie benötigten als Gebäude, die der geltenden Energieeinsparverordnung genügten. So würde im Passivhaus zwar weniger Heizenergie verbraucht, dagegen liege der Stromverbrauch ganz erheblich höher. Der einzige zusätzliche Stromverbraucher in einem Passivhaus ist die Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, die nach der Energieeinsparverordnung bislang noch nicht zwingend vorgeschrieben ist. Bei einem richtigen Passivhaus werden an diese Lüftungsanlage jedoch zwei Qualitätsanforderungen gestellt: Der effektive Wärmebereitstellungsgrad, vulgo: Wärmerückgewinnungsgrad, soll über 75 Prozent betragen und der Stromverbrauch soll weniger als 0,45 Wh/m³ betragen.

Bei einem für ein Einfamilienhaus typischen Luftwechsel von 120 m³/h, einem Wärmebereitstellungsgrad von 75 Prozent, der spezifischen Wärmespeicherkapazität von Luft von 0,33 Wh/m³K und dem Klima von Frankfurt – bei 20 °C Raumtemperatur 74,5 kKh/a – beträgt die Wärmeeinsparung durch die Wärmerückgewinnung mindestens 2.212 kWh/a, 120 m³/h x 0,75 x 0,33 Wh/m³K x 74,5 kKh/a.

Wenn die Lüftungsanlage das gesamte Jahr über rund um die Uhr läuft, 8.760 h/a, und einen Stromverbrauch nach Passivhausstandard hat, 0,45 Wh/m³, beträgt der Stromverbrauch maximal 473 kWh/a, 120 m²/h x 8.760 h/a x 0,45 Wh/m).

Selbst in diesem äußerst ungünstigen Fall ist die Wärmeeinsparung also annähernd 4,7-mal so hoch wie der Stromverbrauch. Aus energetischer Sicht ist es jedoch viel sinnvoller, die Lüftungsanlage nur in der Heizperiode laufen zu lassen und außerhalb der Heizperiode über die Fenster zu lüften. Die Heizperiode dauert bei einem gut geplanten und betriebenen Passivhaus nur 120 Tage. Damit liegt der Stromverbrauch bei 155 kWh/a, 120 m²/h x 120 d/a x 24 h/d x 0,45 Wh/m³. In diesem Fall ist die Wärmeeinsparung rund 14,3-mal so hoch, wie der Stromverbrauch.

Die hohe Energieeffizienz von Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung findet sich auch im Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetz, EEWärmeG, vom 20.10.2015 wieder. Dort sind sogenannte Ersatzmaßnahmen festgelegt, die man statt der erneuerbaren Energien nutzen darf. Zur Abwärme ist festgelegt, dass die Leistungszahl, die aus dem Verhältnis von der aus der Wärmerückgewinnung stammenden und genutzten Wärme zum Stromeinsatz für den Betrieb der raumlufttechnischen Anlage ermittelt wird, mindestens 10 beträgt.

Im Vergleich dazu ist bezüglich Geothermie und Umweltwärme festgelegt, dass die Jahresarbeitszahl von Wärmepumpen – also das Verhältnis zwischen Wärmeertrag und Stromverbrauch – zwischen 3,3 und vier liegen soll. Aus diesem Vergleich wird deutlich, dass die Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung eine zwei- bis dreifach höhere Energieeffizienz hat als die durch die neue Energieeinsparverordnung stark geförderte Wärmepumpe. Hinzu kommt bei Lüftungsanlagen eine deutliche Verbesserung der Raumluftqualität und die Verminderung der Gefahr von Feuchteschäden.

Weiterhin sollte ein richtiges Passivhaus eine gegenüber der Energieeinsparverordnung deutlich verbesserte Dämmung haben. Während die aktuelle Energieeinsparverordnung immer noch einen Wärmedurchgangskoeffizient für die Außenwand von 0,28 W/m²K und für das Fenster von 1,3 W/m²K zulässt, verlangen die Passivhaus-Kriterien bei der Außenwand 0,15 kWh/m²K und beim Fenster 0,8 W/m²K.

Die Analyse des Modellversuchs der Wiesbadener Wohnbaugesellschaft GWW lässt zwei mögliche Schlüsse zu: Entweder halten die von der GWW als „Passivhäuser“ bezeichneten Gebäude den Passivhaus-Standard nur auf dem Papier ein oder das Nutzerverhalten war in den sogenannten „Vergleichsgebäuden“ so unterschiedlich, dass die publizierten und nach Ansicht des Magistrat nicht plausibel erscheinenden Verbrauchswerte zustande kamen.

Um einen seriösen Vergleich der Passivhaus-Gebäude und der EnEV-Gebäude zu ermöglichen, müssten für beide Gebäudearten mindestens folgende Unterlagen zur Verfügung stehen: Flächen, U-Werte und Wärmebrückenberechnungen aller Außenbauteile, Luftdichtigkeitsmessungen, n50-Wert, Messprotokolle der Lüftungsanlagen – Luftmengen, Wärmebereitstellungsgrade, Stromverbräuche -, Betriebszeiten der Lüftungsanlage, Messung der mittleren Raumluftqualitäten – Temperatur, Feuchte, CO2-Konzentration – während der Heizperiode, Erfassung der Fensteröffnungszeiten während der Heizperiode.

Dem Vernehmen nach soll es ja selbst bei Autos manchmal Verbrauchswerte geben, die über den Herstellerangaben liegen. Deswegen empfiehlt der Magistrat bei der Abnahme immer die oben genannten Messungen durchzuführen.

Möglicherweise wäre es im Rahmen des Modellversuchs sinnvoll gewesen, den Rat bei der Frankfurter Wohnungsbaugesellschaft ABG Frankfurt Holding einzuholen. Die ABG Frankfurt Holding hat mittlerweile über 2.500 Passivhauswohnungen im Geschosswohnungsbau realisiert, von der Sozialwohnung bis zur Eigentumswohnung. Die Erfahrungen der ABG Frankfurt Holding  zeigen, dass die Verbräuche sich im Rahmen der Planungen bewegen. Ein ganz erheblich höherer Stromverbrauch wie in Wiesbaden kann nicht festgestellt werden. Möglicherweise liegt der hohe Stromverbrauch bei der Wiesbadener Wohnungsbaugesellschaft darin begründet, dass die Lüftungsanlage für das Objekt überdimensioniert sein könnte. Die ABG Frankfurt Holding plant ihre Passivhäuser mit einem Team, das Erfahrungen im Passivhausbau hat. So kann sichergestellt werden, dass die einzelnen Komponenten aufeinander abgestimmt sind und erhöhte Verbräuche ausgeschlossen sind.

Weitere erfolgreiche Beispiele im Passivhaus-Wohnungsbau finden sich nach Kenntnis des Magistrats zum Beispiel im Stadtteil Kronsberg der Stadt Hannover und bei der Ludwigshafener Wohnungsbaugesellschaft LUWOGE.